Moderatorin: Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, herzlich willkommen zu unserem Magazin „Mensch und Alltag“. Heute darf ich in unserem Studio Herrn Johann Adler begrüßen, Professor an der Hamburger Universität, der sich seit Jahren im Bereich Lese- und Schreibkompetenz spezialisiert. Guten Abend, Herr Professor.
Professor: Guten Abend! Vielen Dank für die Einladung.
Moderatorin: Wer schon sein ganzes Leben lang schreibt, kann sich ein Leben ohne Schrift nicht vorstellen. Doch es gibt auch in Deutschland Menschen, deren Lese- und Schreibkenntnisse nicht ausreichenausreichenausreichen, um aktiv und gleichberechtigtgleichberechtigtgleichberechtigt am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Von welchen Zahlen ist mittlerweile die Rede?
Professor: Das Phänomen ist weiter verbreitet als gedacht. Laut einer Studie von 2018 gibt es in Deutschland insgesamt 6,2 Millionen Menschen mit geringer Lese- und Schreibkompetenz, wir sagen: mit geringer Literalität. Das sind 12 % der Bevölkerung.
Moderatorin: Da haben Sie recht, in der heutigen digitalen Welt sind diese Zahlen kaum vorstellbar. Erklären Sie bitte den Begriff „geringe Literalität”.
Professor: Also, wenn wir von „Menschen mit geringer Literalität” sprechen, meinen wir Erwachsene, deren Lese- und Schreibkompetenzen für eine volle berufliche, gesellschaftliche und politische Teilhabedie TeilhabeTeilhabe zu gering sind. Das sind Personen, die ihre Schulpflicht erfüllt haben und dennoch kaum lesen oder schreiben können. Früher nannte man sie „Analphabeten” – den Begriff vermeidenvermeidenvermeiden wir heutzutage, denn er wirkt stigmatisierendstigmatisierend wirkenwirkt stigmatisierend.
Moderatorin: Sie haben als Forscher sicher nach den Ursachen für dieses Phänomen gesucht. Wie ist es überhaupt möglich, dass den Menschen diese Grundkompetenzen nicht beigebracht wurden?
Professor: Die Ursachen für geringe Literalität sind sehr vielschichtigvielschichtigvielschichtig. Mangelnde Unterstützung in der Familie oder fehlende Lese- und Schreibvorbilder, persönliche Ängste oder eine schlechte Bildungspolitik sind häufige Ursachen. Migrationshintergründeder Migrationshintergrund/die MigrationshintergründeMigrationshintergründe können ebenfalls eine Rolle spielen. Für fast die Hälfte der Menschen mit geringer Literalität ist Deutsch nicht ihre Erstsprache.
Moderatorin: Ah so. Die Lese- und Schreibkompetenzen sind aber doch Schlüsselqualifikationen in Schule und Beruf. Wie kommen die Personen dann durch das Leben?
Professor: Viele der Betroffenendie Betroffene, der Betroffene/die BetroffenenBetroffenen haben eine Schule besucht, manche sogar einen niedrigen Schulabschluss gemacht. Die Mehrzahl ist erwerbstätigerwerbstätigerwerbstätig. Die meisten sind in ein Netzwerk von Helfern eingebetteteingebettet in etwas (D/A)eingebettet, die für sie amtliche Briefe beantworten, Informationen zusammenfassen oder Arbeitsanweisungen erklären. Ohne diese Helfer droht ihnen aber die Gefahr, sichsich bloßstellensich bei Lese- oder Schreibversuchen bloßzustellensich bloßstellenbloßzustellen. Fahrpläne, Straßenschilder, Anzeigen oder Posts in sozialen Netzwerken bleiben für sie oft unverständlich.
Moderatorin: Herr Professor Adler, wie kann sich eine solche Situation auf die Betroffenen auswirken?
Professor: Die Welt wird außerhalb des Helfernetzwerks als Bedrohung wahrgenommen. Sich dort zu bewegen, bedeutet häufig Stress. Gleichzeitig zweifeltetwas anzweifeln (A)zweifelt man die eigenen Fähigkeiten anetwas anzweifeln (A)an. Die Leseschwäche untergräbtuntergrabenuntergräbt dann das Selbstbewusstsein. Auf fehlerhafte Posts in den Social Media folgt oft ein Schwallder SchwallSchwall von Beleidigungen, mit denen sichsich mit etwas abfinden (D)sich Personen mit geringer LiteralitätPersonen mit geringer LiteralitätPersonen mit geringer Literalität nur schwer abfindensich mit etwas abfinden (D)abfinden können.
Moderatorin: Es ist selbstverständlich, dass diesen Menschen geholfen werden muss. Was für Unterstützung steht ihnen zur Verfügung?
Professor: Es gibt mittlerweile viele Hilfsangebote, darunter ein Telefonservice und Lese- und Schreibunterricht. Diese Personen werden vom Bund oder verschiedenen Instituten und Stiftungendie Stiftung/die StiftungenStiftungen beraten und gefördert. Sie können also auf eine intensive und vertrauliche Hilfe zählen. Die wichtigste Aufgabe müssen sie aber selbst schaffen – sich übersich über etwas klarwerdensich über das Problem klarzuwerdensich über etwas klarwerdenklarzuwerden und Hilfe zu suchen.
Moderatorin: Vor unserem Gespräch hatte ich keine Ahnung von dem Ausmaßdas AusmaßAusmaß fehlender Lese- und Schreibkompetenzen in unserem Lande. Ich glaube, vielen unserer Zuhörerinnen und Zuhörer geht es genauso.
Professor: So ist es. Solche Gespräche dienen der Enttabuisierungdie EnttabuisierungEnttabuisierung der Lese- und Schreibschwäche sowie der Sensibilisierung der Gesellschaft für das Problem.
Moderatorin: Herr Professor Adler, ich bedanke mich herzlich fürs Interview.
Professor: Gerne, danke sehr!
Moderatorin: Und jetzt liebe Zuhörer …